Hartz-IV-Regelsätze.
28.09.2010 20:41„Das ist einfachste Mathematik"
HAZ/Von Reinhard Urschel Berlin. Die Arbeitsministerin erläutert die Überlegungen zur Hartz-IV-Berechnung. Alles Lebensnotwendige soll durch Hartz IV abgedeckt werden. Doch was ist lebensnotwendig? Und was ist, wie Ursula von der Leyen sagt, nur „Ausdruck eines Lebensstils"?
Die Ministerin hält ihre Hände flach übereinander, eine gute Spanne Abstand liegt dazwischen. Eis geht um Untergrenzen und Obergrenzen, Zuverdienstmöglichkeiten und das Lohnabstandsgebot Die Berichterstatter aus der Bundespressekonferenz fragen mehrfach nach, immer noch hält Ursula von der Leyen ihre Hände hoch, verschiebt sie nach oben und unten, und sagt schließlich: „Also, das ist im Prinzip einfachste Mathematik. Wer das nicht versteht, hat das Klassenziel verfehlt." Dabei lächelt sie ihr Lächeln, das diesmal ausdrücken soll, ihr müsst das ja mal begreifen.
Die Arbeitsministerin hat eine unangenehme Aufgabe zu erfüllen, vielleicht die unangenehmste, die die Regierung Merkel derzeit zu vergeben hat Sie muss das Ergebnis einer politischen Beratung erläutern, das vielen beim ersten Hören geradezu herzlos erscheinen muss. Um nur 5 Euro sollen die HartzIV-Sätze steigen. Die Anpassung dieser Sätze an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist gewiss nicht das unwichtigste Projekt in diesen „Herbst der Entscheidungen", den die Kanzlerin versprochen hat Diese Entscheidung ist immerhin so wichtig, dass die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP sie am Sonntag selbst verkündet haben. Knapp, präzise, als ob es sich um das Ergebnis einer physikalischen Berechnung handeine, nennt die Kanzlerin die neuen Zahlen, Guido Westerwelle sagt, das Ergebnis der Beratungen sei sozial ausgewogen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte vorab schon gegrantelt, seine Partei stimme einer Erhöhung nur zu, wenn sie verfassungsrechtlich unumgänglich sei.
Es bleibt an der Arbeitsministerin hängen, die Entscheidung so zu erläutern, dass die Bürger im Lande sie verstehen. Schon am Sonntag in der Talkshow bei Anne Will bekommt von der Leyen die volle Breitseite der Betroffenen und der Wohlfahrtsverbände ab. Sie muss sich des dauererregten Brüllpolitikers Klaus Ernst (Linke) erwehren, der sich als Schutzmacht der kleinen Leute aufspielen kann, weil er keine Haushaltsplanung betreiben muss. Tags darauf, als es an die Klärung von Dutzenden von Einzelfragen geht, hat Ursula von der Leyen immer noch keine bessere Botschaft als die Kanzlerin zu verkünden. Aber geduldig erklärt sie, weshalb ein Hartz-IV-Bezieher aus ihrer Sicht keinen Anspruch auf Geld für Alkohol und Zigaretten haben soll: „Genussmittel, und als Ärztin muss ich auch sagen, Genussgifte, stellen keine Lebensnotwendigkeit dar, sie sind lediglich Ausdruck des Lebensstils."
Als immer wieder Nachfragen kommen, zum Beispiel, weshalb denn nun Schnittblumen, Tierfutter und Pauschalreisen aus dem Leistungskatalog herausgenommen worden seien, lässt die Arbeitsministerin einen kleinen Einblick in die Entscheidungsfindung zu: „Wir haben uns überlegt, wie eine Familie mit Arbeit und geringem Einkommen leben muss, was sie sich leisten kann. Wenn eine solche Familie auf etwas verzichten muss, dann können wir es bei Hartz IV nicht in den Leistungskatalog aufnehmen. Das waren unsere Leitplanken." Wer arbeitet, soll mehr Geld verdienen als jemand, der nicht arbeitet und von staatlicher Hilfe lebt, steht im Sozialgesetzbuch.
Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt folgendes Beispiel für eine Hartz-IV-Familie mit drei Kindern auf Grundlage der geplanten neuen Werte: Die Eltern erhalten pro Monat zusammen 90 Prozent des doppelten Regelsatzes, also 582,40 Euro. Für den vierjährigen Sohn gibt es 215 Euro, für dessen zehnjährigen Bruder 251 Euro, für die 15 Jahre alte Tochter 287 Euro. Das sind zusammen 1335 Euro für die Lebenshaltung. Bezahlt bekommt die Familie zusätzlich Miete und Heizkosten. Das schlägt je nach Region mit etwa 550 bis 650 Euro zu Buche. Laut Paritätischem Wohlfahrtverband kommt eine vergleichbare Familie auf ein Arbeitseinkommen von brutto 2472 Euro. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben ergibt sich daraus ein verfügbares Einkommen von 2529 Euro; darin sind 126 Euro Wohngeld-Zuschuss enthalten. Das verfügbare Einkommen der Arbeitnehmerhaushaltes liegt damit laut Studie um 457 Euro über jenem der Hartz-IV-Familie.
Was ändert sich? (HAZ/Michael Grüter )
Warum gibt es überhaupt eine Neuregelung?
Das Verfassungsgericht hat im Februar dieses Jahres dem Gesetzgeber auferlegt, „alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren, nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen.“
Wie kam man zu den neuen Sätzen?
Die Berechnung stützt sich wie bisher auf die alle fünf Jahre statti ndende Einkommens- und Verbrauchsstatistik. Dabei werden alle Ausgaben von 60 000 Haushalten erfasst. Aus den Daten hat das Statistische Bundesamt den Regelbedarf für Personengruppen ermittelt: Alleinstehende, Ehegatten und Lebenspartner, erwachsene Mitbewohner, Kinder in den Altersstufen bis zu sechs, bis zu 13 und bis zu 18 Lebensjahren. Maßstab ist dabei das untere Fünftel der Einkommenspyramide.
Wie wird der spezifische Bedarf von Kindern gedeckt?
Zusätzlich zum Regelsatz von Kindern wird ein Bildungspaket mit Sachleistungen geschnürt, die über eine Chipkarte oder andere Methoden abgerechnet werden. Ein Schulbasispaket für die Anschaffung von Schultasche, Taschenrechnern und anderem soll pro Jahr 120 Euro betragen. Bei Bedarf werden die Kosten für Nachhilfe übernommen. Außerdem erhalten die Hartz-IV-Kinder einen Zuschuss für ein warmes Mittagessen.
Ist getrickst worden?
Das Arbeitsministerium weist jeden Manipulationsverdacht zurück. Debattiert wird aber in Fachkreisen über den genauen Zuschnitt der statistischen Bezugsgruppe. Herausgerechnet wurden aus den unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher all jene, die bereits allein von staatlichen Transferleistungen leben. Das Ministerium argumentiert, damit solle ein sogenannter Zirkelschluss vermieden werden. Kritiker aus den Sozialverbänden sagen, die verbleibende Gruppe sei zu klein, um eine verlässliche Hochrechnung anstellen zu können.
Welche Rolle spielt das Lohnabstandsgebot?
Union und FDP legen Wert darauf, dass die Bezieher geringer Einkommen netto immer noch mehr Geld zur Verfügung haben als Hartz-IV-Empfänger. Dennoch kann es in Einzelfällen zu einer Annäherung der Zahlen kommen, insbesondere bei Hartz-IV-Familien mit mehreren Kindern. Laut Verfassungsgericht hat jedoch die Sicherung des Existenzminimums eine eigenständige Bedeutung und „muss eingelöst werden.“ Die Regelsätze dürfen also nicht gesenkt werden, um den Lohnabstand zu wahren.
Was ist anders als 2005?
Schon immer fielen bestimmte Ausgaben aus dem Warenkorb für Hartz-IV-Empfänger heraus wie zum Beispiel Flugreisen. Neu auf der Streichliste sind die chemische Reinigung, Gartenbedarf und die Ausgaben für Tabak und Alkohol. Für den entsprechenden Flüssigkeitsbedarf wird der Posten erhöht. Neu in den Warenkorb aufgenommen wurden die Praxisgebühr und Ausgaben für Software-Downloads.
Was ändert sich bei der Unterkunft?
Kosten für Unterkunft und Heizung, sogenannte Warmmieten, werden wie bisher erstattet, so weit sie „angemessen“ sind. Kreise und kreisfreie Städte können Satzungen erlassen, in denen ein Höchstbetrag für das Gebiet festgelegt werden, wenn er statistisch nachvollziehbar begründet wird. Diese Pauschalen setzen voraus, das ausreichend freier Wohnraum verfügbar und zumutbar ist.
(epd)/ www.domradio.de
Wer bekommt was im nächsten Jahr?
Die schwarz-gelbe Koalition in Berlin hat beschlossen, dass die Hartz-IV-Sätze für Erwachsene 2011 um fünf Euro pro Monat steigen sollen. Die Kinder-Regelsätze bleiben unverändert. Für Bildung und Freizeit sollen Kinder Sachleistungen erhalten. Das Elterngeld wird gestrichen, Wohnkosten können künftig als Pauschale erstattet werden.
Ein Paar mit einem Kind von acht Jahren:
Was bedeutet das für eine Familie im kommenden Jahr? Ein Beispiel. Die Erwachsenen erhalten ab Januar 2011 jeweils fünf Euro mehr, der eine 364 Euro pro Monat, der Partner 328 Euro. Das Kind erhält weiterhin 251 Euro. Die Zahlung für das Kind bleibt auch dann unverändert, wenn im Laufe des kommenden Jahres - im Juli - die Erwachsenen-Regelsätze aufgrund der Preis- und Lohnentwicklung angehoben werden sollten. Rechnerisch müsste der Satz für das Kind sogar sinken, weil die Neuberechnung auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 (EVS) ergeben hat, dass einem achtjährigen Kind ab 2011 nur noch 242 Euro zustehen. Die Bundesregierung will die gegenwärtige Höhe aber garantieren.
Das Kind bekommt zusätzlich aus dem Bildungspaket für arme Kinder Gutscheine im Wert von zehn Euro pro Monat für Sport, Musik oder Freizeiten, also 120 Euro im Jahr. Zum 1. August erhält es 70 Euro für Schulsachen, zum zweiten Halbjahr (1. Februar 2012) weitere 30 Euro. Diese Geld bekommt es bisher auch schon, allerdings als Einmalzahlung von 100 Euro zum Schuljahresanfang. Bietet die Schule ein warmes Mittagessen an, an dem das Kind teilnehmen will, muss die Familie einen Euro selbst bezahlen, den Rest finanziert das Jobcenter. Für Wandertage in der Schule gibt es einen Gutschein von 30 Euro im Jahr. Geld für Klassenfahrten muss, wie bisher, extra beantragt werden. Braucht das Kind Nachhilfe, sollen Kosten übernommen werden, es ist aber unklar, in welcher Höhe.
Das Bildungspaket hat für ein Schulkind also mindestens einen Gegenwert von 250 Euro im Jahr, wovon es 100 Euro heute schon bekommt. Hinzu kommen Nachhilfe- und Essenskosten. Ein Kindergartenkind bekäme den Zuschuss zum Mittagessen und, bei Bedarf, 30 Euro im Jahr für Ausflüge mit dem Kindergarten. Für die Bildungsleistungen soll es zunächst eine Übergangszeit bis Ende April 2011 geben, in der noch Geld ausgezahlt wird. Später gibt es Gutscheine, Abrechnungen über das Jobcenter oder eine Bildungs-Chipkarte, von der die Leistungen abgebucht werden können.
Bekäme die Familie im Jahr 2011 ein weiteres Kind, stünde sie schlechter da als bisher. Das Elterngeld von 300 Euro im Monat wird ab Januar 2011 ersatzlos gestrichen. Für das Baby bekäme die Familie 215 Euro im Monat.
Je nachdem, wie und wo die Familie wohnt, können sich auch die Leistungen für die Wohnung und Heizung in den nächsten Jahren ändern. Das Gesetz eröffnet Städten und Landkreisen die Möglichkeit, per Satzung Mietobergrenzen zu bestimmen und die Wohnkosten pauschal zu erstatten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Pauschalen die tatsächlichen Wohnkosten der Hartz-IV-Empfänger nicht abdecken. Dann müsste die Familie die Differenz aus dem Regelsatz aufbringen. Fiele die Pauschale höher aus als die Warmmiete der Familie, könnte sie das überschüssige Geld behalten.
Hartz-IV-Empfänger erhalten neben den Regelsatz-Leistungen Ermäßigungen bei Gebühren. Das bleibt unverändert. Zu den Ermäßigungen zählen die Befreiung von den Rundfunkgebühren, verbilligte Eintritte etwa ins Schwimmbad, verbilligte Fahrkarten für den Nahverkehr sowie ein kostenloser Kindergartenplatz.
Welche Ausgaben fließen in die Rechnung ein?
Grundsätzlich gehen alle Ausgabenposten, die ein Haushalt üblicherweise hat, in die Berechnung ein. Das Statistische Bundesamt führt rund 240 Positionen auf. Die Bundesregierung entscheidet wiederum, welche Waren und Dienstleistungen für die Sicherung des Existenzminimums benötigt werden. Bei Nahrungsmitteln, Bekleidung oder einem Dach über dem Kopf ist die Entscheidung klar. Diese Dinge benötigt jeder. Auch ein Internetanschluss wird anerkannt. Alkohol und Tabak, Haustiere, Reisen oder Autos gehören aber nicht dazu.
Hat die Regierung bei der Berechnung getrickst?
Das Arbeitsministerium behauptet, das es keinen Einfluss auf die Höhe der Regelsätze genommen hat. An einer Stelle wurde die statistische Methode aber ganz im Sinne eines sparsamen Staates festgelegt. Für die Bemessung der Ausgaben wird das Konsumverhalten einer Vergleichsgruppe herangezogen, die aus dem Fünftel der Bundesbürger mit den niedrigsten Einkommen besteht. Es wurden aber nicht die 20 Prozent mit den niedrigsten regulären Löhnen genommen, sondern eine Gruppe, in der auch Aufstocker enthalten sind. Dieser Trick mindert das Existenzminimum.
Die transparente Wundertüte
Montag 27.09.2010, 20:26 · von FOCUS-Online-Redakteurin Nina Baumann
Arbeitsministerin von der Leyen preist die Mini-Reform von Hartz IV als konsequent und transparent. Den Angriffen der Opposition kann sie gelassen entgegensehen.
Nur um fünf Euro will die Regierung die Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene erhöhen. Für Kinder gibt es monatlich gleich viel wie bisher, dazu allerdings ein „Bildungspaket“, das die Chancen für sozial benachteiligte Kinder verbessern soll. Die Sozialverbände toben, die Opposition droht mit Boykott im Bundesrat. Was ist dran am Streit um Hartz IV?
Warum fällt die Erhöhung so gering aus?
Monatlich 364 statt wie bisher 359 Euro sollen erwachsene Hartz-IV-Empfänger von Januar 2011 an erhalten. Grundlage für die Berechnung war wie früher auch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die das Statistische Bundesamt erstellt. 60000 deutsche Haushalte halten in einem Haushaltsbuch ihre Einnahmen und Ausgaben fest. Wer nur von Sozialhilfe oder anderen staatlichen Transferleistungen lebt, spielt in den weiteren Betrachtungen keine Rolle mehr, damit keine Zirkelschlüsse entstehen: Schließlich soll der Bedarf von Hartz-IV-Empfängern nicht anhand von Hartz-IV-Empfängern ermittelt werden. Das Arbeitsministerium zieht die unteren 15 Prozent der verbleibenden Haushalte heran. Was diese 15 Prozent für lebensnotwendige Dinge ausgeben, sollen sich grundsätzlich auch Hartz-IV-Empfänger leisten können. Dabei trifft der Gesetzgeber die Entscheidung, was eben lebensnotwendig ist. Dazu gehören mit der Neuregelung zum Beispiel Kosten für Internet und Praxisgebühr. Ein anderer Posten fällt dafür weg: Es werden keine Ausgaben für Alkohol und Tabak berücksichtigt. „Alkohol und Tabak gehören nicht zum Grundbedarf und sind auch nicht existenzsichernd“, sagte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei der Vorstellung des Entwurfs.
Was ändert sich für Kinder?
Der Regelsatz für Kinder bleibt unverändert. Es gibt 215 Euro für Kinder bis 6 Jahre, 251 Euro für Kinder von 7 bis 13 Jahre, 287 Euro für 14- bis 18-Jährige. Zustande gekommen waren die Sätze ursprünglich, indem 60 bis 80 Prozent des Erwachsenen-Regelsatzes angesetzt worden waren. Das hatte das Verfassungsgericht aber gerügt: Kinder seien keine kleinen Erwachsenen. Nun ließ das Ministerium eigenständige Berechnungen für den Bedarf von Kindern durchführen – und hätte nach diesen den Satz sogar senken müssen. Darüber zeigte sich selbst von der Leyen überrascht. „Der Bedarf von Kindern ist eine absolute Blackbox für uns gewesen“, sagte sie am Montag. Aus Gründen des Vertrauensschutzes bleiben die Sätze gleich.
Zusätzlich zu den Regelsätzen will von der Leyen den sozial benachteiligten Kindern ein „Bildungspaket“ anbieten. Das soll den Kindern sichern: Ein warmes Mittagessen in der Schule, wenn diese das anbietet, Unterstützung, wenn das Kind Nachhilfe braucht, Schulmaterial, die Teilnahme an Schulausflügen und die Möglichkeit, in einen Sportverein oder eine Musikschule zu gehen. Dafür sollen die Kinder aber kein Geld, sondern Gutscheine oder gar eine Chipkarte bekommen. Dass dies nicht so simpel ist, wie es sich anhört, ist der Ministerin klar. „Das ist eine organisatorisch nicht trivial zu lösende Aufgabe“, sagte sie.
Wie wird der Entwurf dem Urteil des Verfassungsgerichts gerecht?
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar zwar die Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig erklärt, aber auch einige Dinge ausdrücklich gebilligt. Die Richter hatten festgestellt, dass das statistische Modell mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe geeignet ist, um die Sätze zu ermitteln. Es hatte die Sätze auch nicht für zu niedrig erklärt. Außerdem hatte es dem Gesetzgeber zugebilligt, Werteentscheidungen darüber zu treffen, was zum Existenzminimum gehört. Bemängelt hatte es vor allem zwei Dinge: Die Herleitung der Sätze, die es für nicht transparent hielt und die Sätze für Kinder, die gar nicht eigenständig ermittelt worden waren.
„Wir wollten Transparenz, jetzt haben wir Transparenz“, preist von der Leyen ihren Entwurf. Die Berechnungen seien „unbestechlich“, die Ergebnisse „schlüssig und sachgerecht“. In der Tat kann die Regierung auf eine wichtige Veränderung verweisen: Es gibt keine Abschläge mehr. Die Karlsruher Richter hatten gerügt, dass viele Posten der Vergleichsgruppe in den Hartz-IV-Sätzen nur teilweise berücksichtigt wurden. Fast schon sprichwörtlich wurde das Beispiel von der Pelz- und Maßkleidung: Von den Ausgaben, die die untere Einkommensgruppe für Kleidung aufwendeten, wurden für den Hartz-IV-Satz zunächst nur 96 Prozent angesetzt – weil eben Ausgaben für Pelze und Maßkleidung darin enthalten sein könnten. Die Nachfrage, woher sie wüssten, dass das ärmste Fünftel der Bevölkerung solche Dinge tatsächlich kaufe, brachte die Regierungsvertreter in Karlsruhe ins Schleudern. Diesen Fehler hat die Regierung nicht mehr gemacht: Was berücksichtigt ist, ist zu 100 Prozent berücksichtigt.
Stehen nicht doch politische Erwägungen hinter der Berechnung?
Dass bei angespannter Haushaltslage eine Neuberechnung der Sätze nur eine minimale Erhöhung zum Ergebnis hat, mag nach Trickserei aussehen. Nachweisen lässt es sich nur schwer. Für Verwirrung sorgte am Montag der Vorwurf, das Ministerium habe die Sätze kleingerechnet, indem es eine kleinere Vergleichsgruppe heranzog. Nach dem neuen Entwurf werden nämlich nicht mehr die 20 Prozent einkommensschwächsten Haushalte zum Vergleich herangezogen, sondern nur noch die unteren 15 Prozent. Dies rief den Paritätischen Wohlfahrtsverband auf den Plan, der der Regierung vorwarf, „Schindluder“ mit der Statistik zu treiben.
Das Ministerium konnte die Änderung aber rechtfertigen: Bei der letzten Datenerhebung 2003 wurden nur 0,5 Prozent als Sozialhilfeempfänger aus der Statistik herausgerechnet. Bei der neuen Auswertung sollten alle, die ausschließlich von staatlichen Transferleistungen leben, aus der Statistik verschwinden. Dabei kam man auf 8,6 Prozent – ein sehr viel höherer Anteil. Die Argumentation des Ministeriums: Zöge man nun noch 20 Prozent der in der Statistik Verbliebenen heran, stieße man schon an die untere Mittelschicht. Die Hartz-IV-Sätze würden sich also viel zu schnell dem Geringverdiener-Sektor annähern. Anders formuliert: Addiert man die herausgerechneten 8,6 Prozent hinzu, wird weiterhin gut ein Fünftel der Bevölkerung berücksichtigt.
Hinter der Entscheidung, Ausgaben für Alkohol und Tabak aus dem Bedarf zu streichen, kann man natürlich das Ziel sehen, den Hartz-IV-Satz nicht zu sehr steigen zu lassen. Nur: Solange die Begründung lautet, dies sei eine politische Werteentscheidung, ist dies kaum angreifbar.
Welche Mehrkosten entstehen und wie werden sie finanziert?
Ursula von der Leyen stehen für die Hartz-IV-Reform 480 Millionen Euro zusätzlich zu. Diese fließen ins Bildungspaket: Die Ausgaben für die Lernförderung, das Schulmaterial, die Schulausflüge und Sportverein oder Musikschule sollen davon gedeckt werden. Die Zuschüsse zum Schulmittagessen kosten nach Worten von der Leyens weitere 120 Millionen Euro. Auch diese seien gesichert, verkündete die Ministerin fröhlich: Die gute Konjunkturentwicklung und die gute Arbeitsmarktentwicklung hätten die Ausgaben in ihrem Ressort sinken lassen. Die Fünf-Euro-Erhöhung der Erwachsenensätze veranschlagt von der Leyen mit 300 Millionen Euro. Auch diese muss sie in ihrem eigenen Ressort abzwacken – und auch hier gab sich die Ministerin zuversichtlich, dies stemmen zu können.
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