Wessen fette Jahre sind da gemeint?

12.06.2010 14:39

NDZ/Leserbrief zu „Die fetten Jahre sind vorbei" vom 7. Juni:

Beim Lesen der Montagsausgabe hat mich gleich auf der Titelseite das Entsetzen gepackt. Entweder hat da der Layouter ohne nachzudenken den Titel der Agenturmeldung übernommen, oder es wurde in kreativer Einfältigkeit ein Titel geschaffen, der wie die Formulierung „man könne nicht weiter über seine Verhältnisse leben", kaum zu unterbieten ist. Wer ist denn damit gemeint, für den die fetten Jahre jetzt vorbei sein sollen?

Etwa für diejenigen Mitbürger, die schon jetzt bei der Springer Tafel anstehen müssen?

Etwa für die Neugeborenen von Hartz-TV-Familien, denen man jetzt das minimale Elterngeld streicht, während die Spitzenverdiener weiter die Höchstsätze bekommen. Für die Hartz-TV-Bezieher, denen keine Rentenbeiträge mehr gezahlt werden und die im Alter noch ärmer sein werden? Für all diejenigen, die wegen der gestrichenen Heizkostenzuschüsse im nächsten Winter frieren dürfen? Oder etwa für diejenigen, deren Unternehmen wegen der Zockereien der großen Banken keine Aufträge mehr haben und die deswegen auf der Straße landen, mit der Gewissheit, bald zu den Bedürftigen zu gehören?

Ich kann jedenfalls weit und breit keine Bevölkerungsgruppe erkennen, für die fette Jahre nun vorbei sind. Die gab es nämlich bisher nur für eine kleine Minderheit. Und für die sind die fetten Jahre auch nicht vorbei, sie dauern dank kräftiger Zahlungen und großer Rettungsschirme auf Kosten der Steuerzahler unvermindert an. Während diejenigen, die für die Vernichtung von Billionen an Volksvermögen nicht verantwortlich sind, nun auch noch die Folgen tragen dürfen, knallen bei den Verursachern weiter die Champagnerkorken. Zynischer als mit „die fetten Jahre sind vorbei", kann man das kaum bezeichnen, was den Schwächsten und Ärmsten unserer Gesellschaft jetzt bevorsteht.
Die NDZ täte gut daran, sich für diese Titelzeile zu entschuldigen.
Michael Buckup Springe

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